Ein paar Jahre später, wie sich mein Körper verändert hat und warum Training weiterhin so wichtig ist

Stabilität ist keine Einbahnstraße

Durch regelmäßige Physiotherapie, gezieltes Muskeltraining und Ausdauerbewegung konnte ich meine Haltung verbessern, Schmerzen reduzieren und mich sicherer im Alltag bewegen. Dennoch merke ich immer wieder: Längere Pausen (z. B. durch Krankheiten oder Operationen), veränderte Lebensumstände oder auch nur kleine Fehlbelastungen können reichen, um mich wieder zurückzuwerfen.

Die Wirbelsäule, die bei einer Hüftex eine deutlich größere Last tragen muss, ist weiterhin besonders anfällig. Wenn die Rumpfmuskulatur nicht regelmäßig trainiert wird, übernimmt sie nicht mehr ausreichend ihre stützende Funktion Verspannungen, Rückenschmerzen und Haltungsschäden können die Folge sein.


Meine Trainingsbausteine – angepasst an meine Situation

1. Rumpfkräftigung im Sitzen oder Liegen

Klassische Übungen wie der Vierfüßlerstand sind für mich nicht praktikabel. Deshalb trainiere ich viel im Sitzen (auf einer festen Unterlage oder dem Pezziball) oder im Liegen:

• Sitzendes Rumpftraining mit Rotationsbewegungen, ggf. mit Theraband

• Isometrische Halteübungen für Bauch und Rücken

• Seit- und Vorbeugen aus dem Sitzen, um verschiedene Rumpfbereiche zu aktivieren


2. Training mit instabilen Unterlagen – angepasst

Komplexe Gleichgewichtsübungen im Stehen ersetze ich durch sichere Varianten:

• Sitzen auf einem Pezziball oder Balancekissen und kleine Oberkörperbewegungen

• Balancierübungen mit dem Therapiekreisel, bei denen die Hände die Instabilität ausgleichen

3. Zielgerichtete Aktivierung der Haltemuskulatur

Mein Fokus liegt auf der Stabilisation von Wirbelsäule und Schultergürtel:

• Theraband-Übungen (Rudern, Außenrotation)

• Statische Halteübungen, um Körperbewusstsein und Kontrolle zu fördern

4. Dehnung und Mobilisation – täglich

Kräftigung ist wichtig, Mobilisation genauso:

• Gezieltes Dehnen von Rücken, Schultern, Brustbereich und verbliebenen Beinmuskeln

• Sanfte Oberkörperdrehungen, Schulterkreisen und Atemübungen



Rumpfstabilität – Balance, Kraft & Körperkontrolle

( Bild 1)

Eine meiner liebsten und gleichzeitig herausforderndsten Übungen: auf einem Bein stehen, Oberkörper leicht nach vorne beugen, in der Hand eine 3 kg Hantel.

Sie sieht harmlos aus, fordert aber den ganzen Körper:

Kräftigt Bauch, Rücken und tiefe Haltemuskeln

Verbessert Koordination & Gleichgewicht

Stärkt Schultern und seitliche Rumpfmuskeln

Fördert Körperwahrnehmung und Stabilität im Alltag



Besonderheit für mich als Hüftex-Amputierte:

• Kein Prothesenhalt, weniger Gelenkführung. Der Rumpf muss permanent ausgleichen

• Jede Gewichtsverlagerung kann mich ins Wanken bringen

• Hoher Kraft- und Koordinationsaufwand

• Ziel: Sturzprophylaxe, Alltagssicherheit, Schmerzlinderung und ein starkes Körperzentrum



Mein Fundament: Rumpfstabilität und Core- Training (Bild 2)

Trainingsschwerpunkte dieser Übung:

Stabilität & Gleichgewicht

• Standbein arbeitet konstant mit kleinen Ausgleichsbewegungen, trainiert tiefe Muskulatur in Fuß, Sprunggelenk, Knie und

Hüfte

Core-Aktivierung

• Bauch- und Rückenmuskeln halten den Oberkörper stabil und schützen die Wirbelsäule

Hüftkontrolle & Gluteus

• Kräftigung von Gluteus medius und maximus

Beinrückseite (Hamstrings)

•. Dehnung & Stärkung beugen Verletzungen vor

Koordination

•. Die asymmetrische Belastung (ein Bein, eine Hantel) verbessert die muskuläre Zusammenarbeit

Ausführungstipp: Rücken und Becken gerade halten, Bewegung aus der Hüfte steuern, Hantel nah am Bein führen

Balanceboard-Training – Tiefensensibilität mit Impact (Bild 3)

Ein weiteres Highlight aus meiner Physio: Tiefensensibilitätstraining (Propriozeption) auf dem Balanceboard und dabei die Hantel mit Kraft nach oben stoßen

Propriozeption bedeutet, dass der Körper genau weiß, wo sich seine Gliedmaßen im Raum befinden, selbst ohne hinzusehen. Nach einer Amputation muss dieses Körpergefühl oft neu trainiert werden.

Für mich als Hüftex-Amputierte ist das besonders anspruchsvoll: Jeder Millimeter zählt, jeder Muskel muss mitdenken.

Es geht nicht nur ums Gleichgewicht, sondern auch ums Vertrauen in den eigenen Körper, um die Kontrolle über jede Bewegung und darum, mutig über Grenzen hinauszugehen.

Hier kannst du dir die Übungen im Video ansehen:

Meine wichtigste Erkenntnis:

Was früher reine Reha war, ist heute ein Teil meines Lebens. Bewegung ist für mich Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Lebensqualität.

Ich weiß heute:

• Es ist kein Sprint, sondern ein Langstreckenlauf

• Jeder kleine Fortschritt ist eine verbesserte Haltung, weniger Schmerzen, ein sicherer Schritt zahlt auf meine Lebensqualität ein

• Dranbleiben lohnt sich, auch noch Jahre nach der Amputation

Mein Fazit:

Training ist für mich wie Zähneputzen, ein fester Bestandteil meines Tages.

Es gibt Rückschläge, aber ich weiß: Jede gestärkte Muskelgruppe, jede verbesserte Haltung und jeder stabile Moment im Alltag ist ein Gewinn.

Vielleicht liest das gerade jemand, der noch am Anfang steht:

Es ist möglich, auch mit einer komplexen Amputation Fortschritte zu machen. Schritt für Schritt, angepasst und mit Geduld. Du trainierst nicht nur deinen Körper, du stärkst dein Leben.


Ich bin kein Physiotherapeut und kann nur von meinen eigenen Erfahrungen berichten. Bitte ziehe immer einen erfahrenen Therapeuten hinzu, um Fehlhaltungen oder falsche Bewegungsabläufe zu vermeiden.







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„Fremd im eigenen Körper“ – Leben mit BIID

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