„Fremd im eigenen Körper“ – Leben mit BIID
Ein seltener Einblick in eine wenig bekannte Störung der Körperwahrnehmung
„Ich bin erst dann ich selbst, wenn mein Bein nicht mehr da ist.“
( Anonymer BIID-Betroffener)
Stell dir vor, du wachst jeden Morgen auf mit einem gesunden, funktionstüchtigen Körper. Doch etwas stimmt nicht. Ein Teil von dir fühlt sich… falsch an. Als gehöre er nicht zu dir. Als wäre er ein Fremdkörper.
Was für viele kaum vorstellbar ist, ist für Menschen mit Body Integrity Identity Disorder ( kurz BIID) bittere Realität.
Was ist BIID?
BIID ist eine seltene psychische Störung, bei der Betroffene das starke, andauernde Gefühl haben, dass ein bestimmter Körperteil, meist ein Arm oder Bein, nicht zu ihnen gehört. Trotz vollständiger körperlicher Gesundheit empfinden sie diesen Teil als störend, belastend oder sogar abstoßend.
Am häufigsten äußert sich BIID durch den Wunsch nach Amputation oder Lähmung eines bestimmten Körperteils. Dieses Verlangen ist nicht impulsiv oder kurzzeitig, sondern begleitet die Betroffenen meist über viele Jahre oder sogar ihr ganzes Leben.
Wie fühlt sich das an?
Menschen mit BIID berichten oft, dass sie schon seit ihrer Kindheit spüren, dass „etwas nicht stimmt“. Manche verspüren nur eine innere Unruhe, andere empfinden regelrechten Ekel oder psychischen Schmerz, wenn sie den unerwünschten Körperteil sehen oder spüren.
„Ich habe immer gespürt, dass ich mit einem Bein zu viel geboren wurde.“
( Anonymer BIID-Betroffener )
Einige gehen so weit, sich Verletzungen selbst zuzufügen, nicht aus Suizidgedanken, sondern in der Hoffnung, dass ein Arzt sie schließlich „so macht, wie sie sich selbst empfinden“. In extremen Fällen führen Betroffene selbst Amputationen durch, oft mit lebensgefährlichen Folgen.
Woher kommt dieses Gefühl?
Die Ursachen von BIID sind noch nicht vollständig erforscht. Was man weiß:
• Es gibt Hinweise auf neurologische Ursachen, vor allem in den Bereichen des Gehirns, die für das Körperbild zuständig sind.
• Das Gehirn „sieht“ den betreffenden Körperteil offenbar nicht als Teil des eigenen Körpers.
• Manche Forscher vermuten auch frühkindliche Prägungen oder einen Zusammenhang mit der Identitätsentwicklung.
BIID ist keine Modeerscheinung, kein Schrei nach Aufmerksamkeit und keine psychische „Laune“. Für Betroffene ist das Empfinden real und das Leiden oft tiefgreifend.
Wie wird BIID behandelt?
Die Behandlungsmöglichkeiten sind begrenzt. Viele Betroffene haben bereits mehrere Therapieversuche hinter sich , ohne echte Besserung. Oft fühlen sie sich missverstanden oder nicht ernst genommen.
Mögliche Therapieansätze:
• Psychotherapie, vor allem Verhaltenstherapie oder Körperpsychotherapie kann helfen, den Leidensdruck zu lindern.
• Medikamente (z. B. Antidepressiva) werden manchmal zur Stabilisierung eingesetzt, beheben aber nicht das Körperempfinden.
• In wenigen, sehr umstrittenen Fällen wurde Betroffenen chirurgisch geholfen, etwa durch Amputation. Solche Eingriffe sind rechtlich und ethisch heikel und nur in wenigen Ländern unter strengen Auflagen erlaubt.
Gesellschaftliches Tabu
BIID ist eine tabuisierte Störung. Viele Betroffene schweigen aus Angst vor Ablehnung, Unverständnis oder Stigmatisierung. Sie leben mit ihrem Empfinden im Verborgenen, oft begleitet von Scham, Depression oder sozialem Rückzug.
Deshalb ist Aufklärung so wichtig.
„Ich wünsche mir keine Aufmerksamkeit. Ich wünsche mir nur, dass mein Körper so aussieht, wie ich ihn seit Jahrzehnten fühle.“
( Anonymer BIID-Betroffener )
Was wir tun können?
Auch wenn BIID schwer verständlich wirkt: Betroffene verdienen Respekt, Empathie und Zugang zu medizinischer und psychologischer Hilfe. Es ist nicht unsere Aufgabe zu bewerten – sondern zuzuhören und offen zu bleiben.
Fazit
BIID (Body Integrity Identity Disorder) zeigt, wie tief unser Körpergefühl mit unserer Identität verwoben ist. Wer mit einem „falschen“ Körperteil lebt, erlebt ein ständiges inneres Spannungsfeld. Auch wenn die Störung selten ist, ist das Leiden echt und verdient es, gesehen und verstanden zu werden.
Weiterführende Links & Hilfe
• Beratungsstellen für seltene psychische Störungen
• Literaturtipp: „Amputated Desire“ von Sarah R. Lawrence (englisch)