Ein Fitnessprogramm der besonderen Art

Ich bin nicht behindert, ich werde behindert gemacht

Kölner Dom/ Domplatte

Oft versuchen andere einem zu sagen was man kann oder nicht kann, nur weil man eine „Behinderung“ hat. Viele meinen es vielleicht noch nicht einmal böse, glaube es liegt ganz einfach daran, dass einem zu wenig zugetraut wird. Hier mal ein Beispiel: Vor kurzem bin ich auf einen Abstecher in der schönen Stadt Köln unterwegs gewesen. Was bei solch einem Besuch nicht fehlen darf, ist natürlich die Besichtigung des Domes und definitiv auch die Besteigung des Südturms. Ja, das ist möglich. Allerdings erwartet einem hier dann ein Fitnessprogramm der besonderen Art. Was für jemanden mit zwei Beinen schon eine Herausforderung ist, ist für jemanden wie mich weitaus beschwerlicher. Wer mich aber mittlerweile kennt, weiß dass ich mich gerne immer wieder neuen Herausforderungen stelle und so war für mich schnell klar: Ich muss da rauf, egal wie und egal was kommt. Der Einzige der überzeugt werden musste, war mein Mann. Aber er weiß auch, dass wenn ich mir etwas in den Kopf setze, lasse ich davon nicht so schnell ab. An diesem Tag war ich allerdings zugegebenermaßen mit meinem Rollstuhl unterwegs, wollte ich doch viel von meiner Geburtsstadt sehen. Irgendwann begaben wir uns Richtung Kassa, zur Besteigung des Südturms. Der Blick der Kassiererin war, denke ich auch deshalb so erstaunt, als ich mit meinem Rollstuhl vor ihr stand. Ich zeigte meinen Ausweis und wollte zwei Eintrittskarten kaufen. Wie es sich gehörte machte sie uns darauf aufmerksam, dass es keinen Aufzug auf den Südturm gibt. Ihr Blick sprach Bände als ich ihr entgegnete, dass mir dieser Umstand bekannt sei. Mit einem Lächeln, ob es gezwungenermaßen war, kann ich noch nicht mal sagen, bekam ich die Karten ausgehändigt, ohne aber nicht erwähnt zu bekommen, dass wir in 1,5 Stunden wieder unten zu sein haben. Ich lächelte mit den Worten zurück -das schaffe ich locker-. Ich glaube in diesem Moment dachte sie, dass ich das niemals schaffen werde. Also wurde der Rollstuhl an die Seite gestellt und ich machte mich mit meinen Unterarmgehstützen auf den Weg, lagen doch 533 Stiegen vor mir. Das Einzige wo ich mir ein bisschen einen Kopf drum machte war, dass man eine FFP-2 Maske zu tragen hat.

Der Weg führt über eine sehr schmale und enge Steinwendeltreppe, an der gerade mal  so zwei Personen nebeneinander Platz haben, nach oben. Die Stiegen sind schon recht ausgetreten und bilden eine kleine Mulde in der Mitte.  Der Gang nach oben wird von kleinen Fenstern,  so groß wie Schießscharten,  begleitet. Ich muss immer wieder kurz stehen bleiben, fange ich doch recht schnell an zu schwitzen und muss immer wieder mal vernünftig Luft holen, hindert doch die Maske sehr. Nur kurz erhasche ich dabei einen Blick nach unten auf die Domplatte. Von einem Genuss kann ich hier wahrlich nicht reden, dafür weiß ich aber,  welch ein grandioser Ausblick oben auf mich wartet. Nach gut der Hälfte des Weges, so bei 260 Stiegen, kann man links weggehen um den Glockenstuhl zu besichtigen. Die gewaltige Domglocke mit ihren sieben kleinen Brüdern ist hier zu besichtigen und man kann zum ersten Mal richtig auf die Stadt hinunterblicken. Hier steht auch die bekannteste Domglocke, von den Kölner auch liebevoll „Der Dicker Pitter“ genannt.

Wir entscheiden uns aber dazu, diesen bei unserem Abstieg zu besichtigen, hatte ich doch die Worte der Kassiererin in den Ohren, dass wir in 1,5 Stunden wieder unten zu sein haben. Von hier aus ist es dann nur noch ein kleiner Weg bis man das Ende der Wendeltreppe erreicht hat. Eine eiserne Treppe bringt uns von hier aus dann in 157,22 Meter Höhe. Puh! Geschafft! Wir haben die Aussichtsplattform des Südturms erreicht! 

Eisernetreppe

Meine Beine, äh… meine natürlich mein eines Bein, ist sehr müde als ich oben am Südturm nach rund 15 Minuten für die 533 Stiegen ankomme - doch die Belohnung für den grandiosen Ausblick entschädigt einen dafür.

Die Aussicht ist grandios! Sie ist atemberaubend ! Selbst mein Mann kann nichts mehr sagen und ist überwältigt und froh, dass er mir mein Vorhaben nicht ausgeredet hat.

Oben am Südturm angekommen, kann man dann über einen ausgeschilderten Rundweg den Turm umgehen. Hier sollte man sich Zeit nehmen, um den herrlichen Blick zu genießen. Als Tipp - am besten immer einen Schal oder ein Tuch dabei haben, geht doch da oben immer sehr kräftiger Wind. Bei schönem Wetter kann man bis ins Siebengebirge schauen.

Wir genießen den Ausblick! 

Rundgang Südturm Kölner Dom

Rundgang am Südturm



Rundgang Südturm Kölner Dom

Rundgang am Südturm

Auf unserem Weg zurück entscheiden wir uns dann den Glockenstuhl zu besichtigen, liegen wir doch hervorragend in der Zeit. Nach einem kurzen Aufenthalt machen wir uns dann von hier aus auf den Rückweg. Denn wer raufgeht, muss auch wieder runter. ‚Springen wäre keine so gute Option in diesem Fall‘. 

Müde und verschwitzt kommen wir dann wieder an der Kassa an, uns bleibt sogar noch etwas Zeit, bis der Aufstieg geschlossen wird.

Was hat mich dieser Ausflug gelehrt?

Ich bin wieder um eine Erfahrung reicher! Kann ich doch alles schaffen, auch wenn die Gesellschaft einem nichts zutraut. Die Kassiererin hat mich im Übrigen keines Blickes gewürdigt, kein Wort. Egal, ich habe mir und auch den anderen Besuchern die mir begegnet sind gezeigt, dass die Hürden im Kopf beginnen. 

Die Art und Weise wie wir mit jemanden umgehen der eine „Behinderung“ hat, sollte von der Gesellschaft überdacht werden. Barrierefrei zu bauen oder umbauen, ok geht bei einem so monumentalen alten Bauwerk wie der Kölner Dom nicht, dessen bin ich mir bewusst.  Aber jedoch die Schulung der Mitarbeiter im Umgang mit Menschen, die eingeschränkt sind. Doch ganz wichtig ist die Bereitschaft, Dinge zu ermöglichen und nicht zu behindern. Oft ist es eine Frage der Einstellung und nicht immer eine Frage des Geldes. Man sollte eine „Behinderung“ also nicht mehr nur als einen rein körperlichen Zustand sehen, sondern als Gegebenheit, die das Leben behinderter Menschen erschweren. Nicht nur die baulichen, sondern vor allem die organisatorischen Barrieren sind zu überdenken, bzw. zu ändern.

Um es klar zu sagen: Nicht laufen zu können macht nicht automatisch unglücklich, wohl aber die nicht vorhandene Barrierefreiheit – Treppen, nicht funktionierende Aufzüge usw.- Damit unweigerlich verbunden ist, vom gesellschaftlichen und beruflichen Leben ausgeschlossen zu werden. Dies zu verändern liegt weder in den Möglichkeiten, noch in der  alleinigen Verantwortung eines  behinderten Menschen, sondern ist eine große  Aufgabe, die in der gesamten Gesellschaft angegangen und gelöst werden muss – zum Nutzen aller. Bin ich doch davon überzeugt,  dass jemand der eine „Behinderung“ hat, mit viel mehr Biss Dinge angeht, als jemand der gesund ist.

Auch wenn Köln nicht komplett barrierefrei ist, ist mein Fazit des Besuches in der schönen Domstadt: ‚Barrieren sind dazu da, um überwunden zu werden und ich komme wieder!“ 



Gerne darf man mir einen Kommentar hinterlassen!






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