„Sich-Beweisen-Müssen" mit Behinderung???

Einleitung: Der stille Druck

Es ist ein leiser, oft unausgesprochener Druck. Ein innerer Wettkampf. Ein ständiger Vergleich - nicht nur mit nichtbehinderten Menschen, sondern manchmal noch intensiver, untereinander:

Menschen mit Behinderung im Wettbewerb mit anderen Menschen mit Behinderung.

„Warum? Wieso ist da dieses Bedürfnis, sich beweisen zu müssen? Warum reicht es nicht, einfach zu sein - mit all seinen Fähigkeiten, Stärken und auch mit seinen Grenzen?”

Die Frage ist berechtigt. Und sie führt tief hinein in das Thema, dass in der Gesellschaft oft übersehen wird.

Gesellschaftlicher Druck trifft persönliche Identität

Unsere Gesellschaft ist leistungsorientiert. Erfolg wird über Unabhängigkeit, Effizienz, Produktivität definiert. Wer „trotz Behinderung" Karriere macht, eine Familie hat oder Sport treibt, wird bewundert - oft mit dem Subtext:

„Das hätte ich bei dir nicht erwartet."

„Wenn du dazugehören willst, musst du zeigen, dass du mithalten kannst."

Dieser Druck wird von außen aufgebaut, aber oft von innen übernommen. Viele lernen schon früh:

Ich muss besser, klüger, schneller sein - sonst falle ich durchs Raster.

Der Vergleich innerhalb der eigenen Community

Ein besonders schmerzlicher Aspekt ist der Vergleich mit anderen Menschen mit Behinderung.

Eigentlich sollte da Verständnis, Solidarität, Unterstützung sein - doch nicht selten entsteht Konkurrenz.

Wer ist unabhängiger? Wer arbeitet? Wer lebt alleine? Wer ist sportlich, aktiv, sichtbar?

„Wenn er das kann - warum ich nicht?”

Solche Gedanken setzen unter Druck und lassen uns oft vergessen: Behinderung ist nicht gleich Behinderung. Die Voraussetzungen sind völlig unterschiedlich. Und trotzdem wird miteinander verglichen - ein unfairer Maßstab, der niemandem wirklich gut tut.

Verinnerlichter Ableismus: Wenn die Gesellschaft in uns weiterlebt

Ein Begriff, der hier wichtig ist: verinnerlichter Ableismus. Das bedeutet, dass Menschen mit Behinderung die diskriminierenden Gedanken der Gesellschaft übernehmen.

Man fühlt sich nicht gut genug, wenn man Unterstützung braucht. Man schämt sich für das, was man (noch) nicht kann. Man kämpft darum, die eigene Behinderung zu „kompensieren", statt sich selbst anzunehmen.

„Ich will zeigen, dass ich mehr bin als meine Behinderung."

Aber warum muss man das überhaupt beweisen?

Sich nicht beweisen zu müssen: Ein radikaler Akt der Selbstannahme

Wirklich radikal ist es, sich selbst zu akzeptieren - mit allen Stärken, Schwächen, Fähigkeiten und Grenzen. Ohne „trotzdem". Ohne Recht-fertigung.

Das bedeutet nicht Stillstand. Es bedeutet nur:

Die Motivation kommt von innen - nicht aus Angst vor Ablehnung.

„Ich muss nicht erst etwas leisten, um wertvoll zu sein."

Wahre Inklusion beginnt dort, wo der Wert eines Menschen nicht an Leistung gekoppelt ist.

Was wäre, wenn…?

Was wäre, wenn wir uns nicht mehr vergleichen müssten? Wenn wir einander feiern könnten - unabhängig von gesellschaftlichen Standards?

Nicht: „Ich habe das geschafft, trotz meiner Behinderung." Sondern: „Ich habe das geschafft. Punkt." Oder auch: „Ich habe es nicht geschafft.

Punkt. Und das ist okay! "

Fazit: Du bist genug - ohne Beweis, ohne Vergleich

Der Wunsch, sich zu beweisen, ist menschlich.

Aber wenn er zur Last wird, zur Quelle von Stress, Scham oder innerem Druck, dann lohnt es sich, innezuhalten. „Wem will ich eigentlich etwas beweisen? Und warum?

Vielleicht ist genau diese Frage der erste Schritt in Richtung Freiheit.

Du bist genug. Auch ohne Beweis. Auch ohne Vergleich.

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Neugier gegenüber behinderten Menschen: Alles eine Frage des Respekts